
Beats und Battles – ein Blick in die lebendige Hip-Hop-Szene
In den Stuttgarter Wagenhallen herrscht an diesem warmen Augustwochenende eine elektrisierende Atmosphäre. Aus den Boxen dröhnen treibende Hip-Hop-Beats, während sich junge Menschen in weiten Shirts und lockeren Hosen um die kleine Bühne versammeln. Im Zentrum: ein Battle, bei dem Tänzerinnen und Tänzer nacheinander auftreten und jeweils rund eineinhalb Minuten lang mit spontanen Bewegungen ihre Interpretation urbaner Tanzkultur präsentieren. Sobald ihre Performance endet, nimmt schon der nächste Teilnehmende den Platz ein. Eine Jury entscheidet später, wer es ins Finale schafft und sich beim LBC Summertime Festival 2025 Hoffnungen auf den Sieg machen darf.
Ins Leben gerufen wurde das Festival 2022 von Milyon Hagos, 33, der Stuttgart seither zu einem Treffpunkt der weltweiten Hip-Hop-Community macht. Über mehrere Tage hinweg widmeten sich die Besucher Workshops und Wettbewerben, die weit mehr zeigen als klassische Hip-Hop-Elemente wie Tanz, Musik und Mode. Die Kultur, die Anfang der 1970er-Jahre in US-amerikanischen Straßenvierteln entstand, entwickelte sich schnell zu einer Ausdrucksform gesellschaftlicher Resilienz. Vor allem afroamerikanische Communities nutzten Rap und Tanz, um auf Ungleichbehandlung aufmerksam zu machen. Battles boten dabei eine Möglichkeit, Konflikte ohne Gewalt auszutragen – ein Grundsatz, der die Szene bis heute prägt und sich weltweit verbreitet hat.

Ein Treffpunkt ohne Grenzen
Mitten im Publikum sitzt der elfjährige Damon, begleitet von seiner Schwester und seiner Mutter. Er beobachtet konzentriert die tanzenden Körper auf der Bühne – in wenigen Minuten ist er selbst an der Reihe. Dass die meisten anderen Teilnehmer deutlich älter oder größer sind, spielt für ihn keine Rolle. „Beim Tanzen achte ich nicht darauf, wer woher kommt oder wie alt jemand ist“, erzählt er. „Ich habe dadurch viele Freunde gefunden.”
Genau diese Offenheit sieht Festivalleiter Hagos als Fundament der Szene: „In der Hip-Hop-Kultur ist jeder willkommen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Alter.“ Werte wie Respekt, Fairness und Gleichberechtigung seien tief in der Gemeinschaft verankert und passen zu einer demokratischen Haltung. Das Festival ist deshalb auch Teil des Programms Wir sind dabei! Werkstätten der Demokratie der Baden-Württemberg Stiftung.
Rund 210 Tänzerinnen und Tänzer aus mehr als 20 Ländern sind angereist. Auch im Publikum entstehen spontane Mini-Battles – kleine Herausforderungen, angestachelt durch Anfeuerungsrufe und begeistertes Pfeifen bei spektakulären Moves. Viele der Anwesenden sehen sich zum ersten Mal, doch die Szene verbindet.
Rebeca und Fernanda etwa sind aus Brasilien nach Stuttgart gekommen. „Hier herrscht einfach eine positive Energie“, sagt die 25-jährige Rebeca. „Egal, woher man kommt – Hip-Hop schafft Verbindungen.“ Für Damon ist die Community inzwischen ein fester Bestandteil seines Lebens. Nach schwierigen Zeiten, etwa nach einem Wohnungsbrand, war das Tanzen für ihn eine Form der Stabilität. Über Facetime trainiert er mit einer österreichischen Crew, und auch international nimmt er regelmäßig an Wettbewerben teil. „Ich tanze, weil es mich glücklich macht. Musik ist irgendwie ein Teil von mir“, sagt er und tippt im Rhythmus mit den Fingern.
Technik, Körpergefühl und gegenseitiger Respekt
Damon bringt sich vieles selbst über Onlinevideos bei, doch Workshops mit Profis bedeuten für ihn einen besonderen Reiz. Einige Tage vor dem Festival trainierte er im Stadtpalais Stuttgart mit dem japanischen Tänzer KITE, einer weltweit bekannten Größe im „Popping“. Dabei werden Muskeln im Takt ruckartig angespannt und wieder gelockert – ein Stil, der Präzision und Körperkontrolle erfordert. KITE zeigte den Teilnehmenden grundlegende Bewegungen und half Damon dabei, seine Technik zu verfeinern.
Der 42-jährige Japaner sitzt beim Festival auch in der Jury, doch seine Gelassenheit hatte er nicht immer. „Hip-Hop hat mich stärker gemacht“, sagt er. „Ich war früher extrem schüchtern. Durch das Tanzen habe ich gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen und Menschen offen zu begegnen.“ Respekt und eine wertschätzende Haltung sind für ihn essenziell. Unterschiede in Herkunft oder politischer Perspektive spielen dabei keine Rolle: „Auf der Tanzfläche begegnen wir uns auf Augenhöhe“, erklärt er. „Es wäre schön, wenn globale Konflikte mit derselben Haltung gelöst werden könnten, die wir im Hip-Hop leben.“
November 27, 2025